Zu Besuch bei einem Träumer:
«Ich liebe sie so, so, so sehr. Für sie würde ich alles geben», sagt Nathaniel Cartier. Und meint damit die Musik. Der gebürtige Engländer ist vor etwas mehr als zehn Jahren in die Schweiz gekommen und hat hier Schweizerdeutsch gelernt. Er spricht es absolut akzentfrei, man würde nie einen anderen sprachlichen Hintergrund vermuten, wenn er damit nicht selbst offensiv umgehen würde. «Ich lebe und atme Musik», mein Nathaniel also und bittet zur Cola in der Wohnung seiner Eltern, hoch oben mit atemberaubendem Blick auf den Zugersee. Die Mieten werden dort nicht günstig sein und der Name «Cartier» ... «Nein, leider nicht. Also mir ist wenigstens nichts bekannt diesbezüglich», stellt der Musiker klar.
Inspirierende Musikszene
Nathaniel schaut aus dem Panoramafenster, kratzt sich gedankenverloren am Bart, jener Gesichtsbehaarung, die bei jungen Männern derzeit besonders beliebt ist. Sein aquablaues Hemd passt zu seinen dunklen Augen – er hätte das Zeug zum Teenie- Popstar, währen da nicht die hohen Ansprüche, die er an seine Musik hat: «Ich will nicht Mainstream sein, ich will Musik machen, die mir gefällt.» Gerade gestern war eine Kollegin hier und hat einen Gesangspart aufgenommen. Er deutet auf das Mikrofon im Wohnzimmer. Sein Studio? «Manchmal. Oft aber miete ich mich in ein Profi-Studio ein oder musiziere bei anderen Leuten.» Wichtig sei ihm die Zusammenarbeit mit jungen, lokalen Musikern. «Das ist unglaublich inspirierend.»
Nathaniel Cartier lacht viel, wirkt zufrieden. Es scheint ganz so, als ob er ein unumstössliches Urvertrauen in das Gute der Welt habe, eine Positivität, die mehr als nur einfach «Ausstrahlung» ist. Diese Attitüde ist ansteckend. Fakt ist: Man spürt, dass Nathaniel an sich und seine Musik glaubt. Wenn er erzählt, redetet er nicht nur, er philosophiert, schwärmt und träumt. Nathaniels Wortfluss ist kaum zu bremsen, dennoch verfällt er nicht in einen Redeschwall mit Aneinanderreihung von Plattitüden, wie das bei Musikschaffenden oft der Fall ist.
Vier Instrumente und eine Stimme
Seine Liebe zur Musik war schon immer da, und dies, obschon er nicht aus einem musikalischen Haushalt stammt. «Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar dafür, dass sie mir die Kadettenmusik der Stadt Zug ermöglichten.» Mittlerweile sind einige Jahre vergangen und mehrere Instrumente dazugekommen, Nathaniel spielt Saxofon, Gitarre, Klavier, Bass und dazu singt er. Ein Multiinstrumentalist, wie er im Buche steht. «Das stimmt. Und manchmal habe ich so sehr Lust auf Musik, dass ich an den See gehe und kurz einfach mal ein Lied spiele. Denn das ist ja das Schöne an der Musik: Sie wird von allen Menschen verstanden.» Nathaniel singt in Englisch und Schweizerdeutsch. Gerade beim Schweizerdeutschen hört man genauer hin, seit Mani Matter ist die Erwartung da, dass die in unserer Sprache gesungenen Lieder irgendeinen tieferen Sinn ergeben oder mindestens eine Pointe haben. Michel Gammenthaler, aber auch Bligg & Co. haben diese Tradition aufgenommen und weiterentwickelt, oft mit gesellschaftskritischem Subtext. Dieser Aspekt fehlt bei Nathaniel. «Ich habe vorerst nicht im Sinn, mit meinen Texten die Welt zu verändern.»
Kreative, neue Wege
Nathaniel mischt Folk-Elemente mit Rap, setzt Overdubbing ein und lässt auch schon mal seine Fans ein Lied mitgestalten. «Ich habe via Social Media dazu aufgerufen, mir ein kurzes, zuvor definiertes Tonfragment zu schicken. Die Leute konnten das auf ihrem Smartphone aufnehmen, und ich habe daraus einen Chor-Part gemacht», erklärt er. «Willst du mal hören?»
Wollen wir. Und es klingt tatsächlich verblüffend spektakulär. Hier liegt wohl auch eine der Chancen für Nathaniels Zukunft – er geht neue Wege, ist mutig, kreativ und klug. Nur mit der Finanzierung hapert es. «Via Streaming kommen da vielleicht 50 Franken rein, mehr ist das nicht.» Das reicht nicht zum Leben, auch wenn man in der Wohnung der Eltern wohnt. Er schaut wieder kurz aus dem Fenster. «Ja eben», seufzt er schliesslich. «Und darum haben meine Eltern mir dringend dazu geraten, noch was zu studieren. Das habe ich auch, ich war bis eben an der ETH Zürich und studierte Bauingenieur – aber das war so gar nicht meins», resümiert Nathaniel. «Also habe ich jetzt gewechselt zu Akustik und Musiktechnologie.» Er lacht, und man spürt, dass es andere Themen gibt, über die er lieber reden möchte. Zum Beispiel über sein Album, das am 30. Juli erscheint: «Zuger Träumer». Er zeigt auf seinen Laptop, der auf dem Küchentisch steht. Zu sehen sind unter anderem stilisierte Häuser der Stadt Zug. «Das wird das Cover. Es verkörpert all das, was ich liebe und wofür ich stehe.»
Hinweis
Nathaniel Cartier ist auf allen Streaming-Plattformen vertreten, sein Album «Zuger Träumer» erscheint am 30. Juli.